Phil Collins "Another Day in Paradise"

Weißes Haus, Washington, 22.Juli 1987. Widerwillig unterschreibt der streng konservative Präsident Ronald Reagan den “Homeless Assistance Act”, ein Gesetz zur Unterstützung Obdachloser. Er lächelt gezwungen in die Kameras. 

Für den Präsidenten kommt das Thema zu einer Unzeit. Statt gute Wirtschaftszahlen zu verbreiten, muss er sich mit der Obdachlosenkrise in den USA rumschlagen. Seit Beginn der 80er steigt die Zahl der Menschen, die auf der Straße leben, drastisch an. Die Zeltstädte in den Innenstädten werden immer größer. Doch der damalige US-Präsident kennt kein Mitleid. Bei einer Wahlveranstaltung bemerkt er zynisch: "Die Leute, die vor den U-Bahnen schlafen, die Obdachlosen, sie haben sich für Obdachlosigkeit, so kann man es sagen: entschieden"... 

Zwei Jahre später, wieder Washington. Ein elegantes Lincoln Town Car fährt langsam durch das Schneegestöber auf der Constitution Avenue. Auf dem Rücksitz beobachtet ein Mann durch die stark verdunkelten Scheiben die traurigen Szenen am Straßenrand: Gruppen von Obdachlosen auf ihren Pappkartons harren in der Kälte aus, Männer, Frauen, Kinder, ganze Familien.  

Der Mann im Auto ist Popstar, eigentlich Drummer von Genesis. Aber seine Solokarriere ist Phil Collins inzwischen wichtiger. Und im Moment tourt er durch die USA. Die Szenen auf der Straße schocken Phil Collins. Später wird er sagen: "im Schatten des Capitol Hill, ein fürchterlicher Widerspruch". 

Der der erfolgreiche, schwerreiche Popstar kommt ins Grübeln. Noch im Auto schreibt er die ersten Textzeilen. In London setzt er die Arbeit an dem Song fort. Als Phil Collins eines Tages aus dem Studio kommt, sitzt da eine obdachlose Mutter mit zwei Kindern auf dem Bürgersteig - und bettelt. Er will helfen – und trotzdem zögert er, der Frau ein paar Münzen geben. Ihn überkommt eine gewisse Hilflosigkeit, ein – Zitat - "unangenehmes Gefühl", wie er sagt. Auch diesen Moment verarbeitet er in dem Song, wenn er später singt: "embarrassed to be there" - “es ist mir peinlich, hier zu sein”. 

Im Oktober 1989 erscheint “Another Day in Paradise”. Die Fans lieben die nachdenklichen Zeilen, die Medien - überhaupt nicht! 

Die Zeitungen nennen Phil Collins einen “Armchair Activist”, einer, der schön redet, um seinen eigenen Ruf zu verbessern, aber nicht anpackt. Die Kritiker kaufen dem Millionär Phil Collins das Thema einfach nicht ab. Das hatte auch damit zu tun, dass viele haben ihm nicht verziehen hatten, dass er das Benefiz-Event Live Aid für eine persönlichen PR-Aktion nutze. Im Sommer 1985 war mit dem Überschalljet Concorde von London nach Philadelphia geflogen, um auf beiden Konzerten zu spielen – als einziger teilnehmender Musiker. Im Rückblick gesteht Phil Collins: “es sah so aus, als würde ich einfach nur angeben wollen...”  

Die Kontroverse um “Another Day in Paradise” bringt Kollege und Singer-Songwriter Billy Bragg damals auf den Punkt: "Phil Collins kann gerne über Obdachlosigkeit singen, aber er möchte doch bitterschön auch aktiv werden, bevor er das Thema ausbeutet."  

Genau das tut Phil Collins dann auch: er sammelt im Rahmen seiner folgenden Auftritte für Obdachlose - und verdoppelt mit seinem eigenen Geld den gespendeten Betrag. Der Song schafft noch mehr. Er verändert - auch wegen seiner leicht verständlichen Botschaft – den Blick vieler Menschen auf das Thema Obdachlosigkeit. So hat Phil Collins mit “Another Day in Paradise”, der letzten Nummer Eins am Ende eines legendären Musikjahrzehnts, die Welt ein kleines bisschen zu einem besseren Ort zu machen... 

Jahr: 1989
Länge: 4:25
Album: ... But Seriously
Label: Century