Ultravox - Dancing with Tears in my Eyes
Ultravox: "Dancing With Tears In My Eyes". Was machst du mit den letzten Minuten deines Lebens?
1983. Ein gewisser Billy Currie hat eine Idee für einen Song. Billy Currie ist Keyboarder und Songwriter und in der Musikszene schon lange kein No-Name mehr. Seine Band Ultravox existiert bereits seit fast 10 Jahren und hatte schon Hits wie das getragene “Vienna”.
Jetzt sitzt Billy Currie in seiner Londoner Wohnung in der Nähe vom Notting Hill Gate und komponiert die ersten Melodien und Strukturen für einen Song, der ein weiterer großer Hit werden wird. Bei uns in Deutschland sogar ihr größter. Musikalisch lässt sich Billy Currie hierfür von einem deutschen Rockmusiker und Komponisten namens Michael Rother inspirieren, dessen Musik er sehr schätzt.
Der Song nimmt also nach und nach Form an. Was fehlt, ist ein Text. Und der wird es in sich haben. Und um den zu verstehen, müssen wir uns die weltpolitische Situation Anfang der 80er vor Augen führen. Vielleicht habt Ihr von der Kuba-Krise im Oktober 1962 gehört, als russische Schiffe Raketen nach Kuba bringen wollten. Das konnten die USA unmöglich zulassen, denn diese Raketen hätten aufgrund ihrer Reichweite amerikanisches Territorium treffen können. Also stoppten amerikanische Kriegsschiffe die russische Flotte auf offenem Meer und blockierten ihre Weiterfahrt. Die Welt hielt den Atem an. Wie würde die Sowjetunion reagieren? Würden die Schiffe einfach weiterfahren? Müssten die Amerikaner gar auf die Gegner schießen? Das – und davon sind viele Experten bis heute überzeugt - hätte vermutlich den Dritten Weltkrieg ausgelöst. Glücklicherweise reagierten sowohl der Kreml als auch Washington besonnen. Der Konflikt konnte gelöst werden. Es gab einen Kompromiss zwischen den Supermächten - und die sowjetischen Schiffe zogen wieder ab. Die Kuba-Krise ist zum Symbol dafür geworden, dass es nicht “Fünf vor Zwölf” sondern beinahe schon “Zwölf” gewesen war.
Aber es gab da noch eine Situation - nicht ganz so bekannt, dafür aber umso heikler. Denn an diesem Tag … war es eher Fünf nach Zwölf. Am 25.September 1983. Ort der Handlung: Eine sowjetische Satellitenüberwachungsanlage, der sogenannte Serpuchow-15-Bunker, etwa 50 Kilometer südlich von Moskau gelegen. Stanislaw Petrow ist Oberstleutnant der Armee, an diesem Tag diensthabender Offizier und vor wenigen Tagen 44 Jahre alt geworden. Am Abend tritt er für einen verhinderten Kollegen den Dienst an. Seine Aufgabe: Die Überwachung des Luftraums. Alles Routine, in einer Zeit, in der man sich an die Bedrohung durch das atomare Schreckgespenst beinahe schon gewöhnt hat. Und so verläuft alles zunächst ruhig. Nichts Außergewöhnliches ist festzustellen - bis kurz nach Mitternacht.
Es ist mittlerweile der 26. September, 0:15 Uhr Moskauer Zeit, als ein Alarm losgeht. Stanislaw Petrow kann seinen Augen kaum trauen. Denn der Computer meldet den Start einer feindlichen Atomrakete im US-Bundesstaat Montana. Ihr Ziel: Die Sowjetunion.
In so einem Fall sieht die Strategie einen mit allen Mitteln geführten sofortigen nuklearen Gegenschlag vor. Ab einem feindlichen Raketenstart hat die sowjetische Führung genau 28 Minuten Zeit, um – unwiderruflich – über diesen Gegenschlag zu entscheiden. Stanislaw Petrow selbst bleibt ab jetzt maximal eine Viertelstunde, um seine Vorgesetzten über den Angriff auf die UdSSR zu unterrichten. Die russischen Streitkräfte machen sich bereit, den Gegenschlag auszulösen.
Doch Stanislaw Petrow ist skeptisch. Warum nur sollten die USA eine einzige Atomrakete gegen Russland schicken? Alle Angriffsszenarien gehen bei einem Erstschlag von einem regelrechten Raketenhagel aus. Für Stanislaw Petrow ergibt das keinen Sinn. Außerdem ist die Zuverlässigkeit des sowjetischen Satellitensystems nicht die beste und war bereits vorher von Vielen in Frage gestellt worden. Er entscheidet sich deshalb dazu, seinen Vorgesetzten einen Fehlalarm zu melden. Doch noch während er mit dem Generalstab telefoniert, zeigt der Computer den Start einer zweiten amerikanischen Rakete an, dann einer dritten, vierten und schließlich fünften.
Stanislaw Petrow bleibt weiterhin cool. Auch fünf Atomraketen sind zu wenig für einen Erstschlag seitens des Gegners. Die USA würden seiner Ansicht nach mit viel mehr Raketen angreifen. Er überzeugt die Generalität davon, dass auch dies nur ein weiterer Fehlalarm sein könne… und möchte klären, was hier vor sich geht. Allerdings stehen ihm keine weiteren Daten zur Verfügung. Das landgestützte sowjetische Radar kann keine zusätzlichen Informationen liefern, da dessen Reichweite dafür zu gering ist. Also muss Stanislaw Petrow sich auf seine Intuition verlassen.
Ich kann mir gar nicht vorstellen, unter welchem Druck Stanislaw Petrow gestanden haben muss: Denn entweder es ist wirklich ein Fehlalarm - dann verhindert er einen Dritten Weltkrieg. ODER es schlagen in wenigen Minuten fünf Nuklearraketen in seinem Heimatland ein. 17 lange und bange Minuten dauert es, bis die Daten der Bodenradare belegen, dass Stanislaw Petrow Recht hat. Es findet tatsächlich kein Raketenangriff statt. Am nächsten Morgen zeigt sich dann: Das Überwachungssystem hat Reflexionen des Sonnenlichts an Wolken über einer amerikanischen Luftwaffenbasis als Raketenstarts fehlinterpretiert.
Was für eine unglaubliche Geschichte, bei der es mir noch heute kalt den Rücken runterläuft. Und sie zeigt, wie real die Bedrohung damals war, wie nahe die Welt am Abgrund stand. Was an diesem Tag passiert ist, wird erst nach dem Fall der Sowjetunion bekannt. Doch die Angst, die Anfang und Mitte der 80er Jahre herrscht, ist allgegenwärtig - auch bei Billy Currie und Ultravox - und ihrem gerade im Entstehen begriffenen, neuen Song. Der Text dazu ist nämlich keineswegs der einer schnulzigen Liebesballade. Er bezieht sich ganz konkret auf die nukleare Bedrohung.
Laut Sänger Midge Ure sind die Lyrics inspiriert von dem Buch “On The Beach”, das in Deutschland unter dem Titel “Das letzte Ufer” erschienen ist. Darin geht es um einen mit Atomwaffen geführtem Weltkrieg, der fast die gesamte Menschheit vernichtet. Und das ist der Ausgangspunkt für die Geschichte in “Dancing With Tears In My Eyes”.
Die Frage: Was tun, wenn genau dieses nukleare Katastrophen-Szenario doch wahr würde, und man wüsste, dass man nur noch wenige Minuten zu leben hätte? Was machst du mit den letzten Minuten deines Lebens? Und mit wem verbringst du sie? Ultravox beantworten diese Fragen so: Als der fiktive Protagonist des Songs im Radio hört, dass es wirklich “over” ist, beschließt er, zu seiner Freundin zu fahren und sie in den Arm zu nehmen. Die Beiden tanzen… mit Tränen in ihren Augen.
Jahr: 1984
Länge: 3:54
Album: Lament
Label: Emi
Peters Pop Stories
Zu fast jedem großen Hit der 80s gibt es eine Geschichte. Und wenn jemand diese Stories kennt, dann Peter Illmann. Im Podcast erzählt er die spannendsten, unglaublichsten und schönsten Geschichten zu den 80s-Hits, die ihr liebt. Jede Woche gibt´s eine neue Folge - viel Spaß!
Zu fast jedem großen Hit der 80s gibt es eine Geschichte. Und wenn jemand diese Stories kennt, dann Peter Illmann. Im Podcast erzählt er die spannendsten, unglaublichsten und schönsten Geschichten zu den 80s-Hits, die ihr liebt. Jede Woche gibt´s eine neue Folge - viel Spaß!