Bronski Beat "Smalltown Boy"
Sänger Jimmy Somerville thematisiert die schwierigen Umstände, unter denen Schwule in der schottischen Provinz Anfang der 80s lebten.
Sänger Jimmy Somerville thematisiert die schwierigen Umstände, unter denen Schwule in der schottischen Provinz Anfang der 80s lebten.
Stellt euch vor, ihr seid in einem Londoner Club – bunt gemischtes Publikum, viele Schwule, Lesben, Heteros, alles bunt gemischt auf der Tanzfläche. Dann spielt der DJ einen 80er Song, den hier alle kennen: "Run away, turn away, run away" – eine Stimme so hoch, dass die fast die Gläser zerspringen. "Smalltown Boy" – ist mehr als nur ein guter Song. Es ist eine der Hymnen der 80er-Musikgeschichte. Und vor allem ist das Lied ein echter Meilenstein für die Schwulenbewegung jener Zeit.
Schippert man den britischen Forth And Clyde-Canal entlang, kommen einem typische britische Hausboote entgegen. Der Kanal ist malerisch und ruhig, rechts ein Park, ein Friedhof, links einen Gebrauchtwagenhandel. Dann erscheint eine stolze Backsteinkirche in typisch schottischer Architektur und viele graue Siedlungen. Herzlich Willkommen in Ruchill, einem Vorort von Glasgow.
Hier dominieren in den 70er und 80er Jahren die Stahlindustrie mit ihren dampfenden Kohlekraftwerken. Es herrschen Armut, soziale Spaltung und Arbeitslosigkeit.
Und in dieser Trostlosigkeit wächst ein Teenager namens James Sumerville auf. Die Nachbarschaft kleinbürgerlich, abends schaut man "Coronation Street" - damals die tägliche "Lindenstraße" Großbritanniens. James Sumerville – der von seinen Kumpels Jimmy Somerville genannt wird - ist ein typischer Vorstadtjunge - ein Smalltown Boy.
Wobei … eine Sache ist anders. Denn eines Tages flirtet dieser Jimmy Somerville. Doch er flirtet nicht mit den Mädchen der Parallelklasse – nein, er steht auf Jungs. Und das ist in einer Kleinstadt in den 70ern alles, nur nicht alltäglich. Schon damals scheint Jimmy Somerville zu ahnen: Er kann hier nicht ewig bleiben.
Das Video zu "Smalltown Boy" erzählt diese Geschichte von Jimmys Abschied, lässt verstehen, warum er 1980 aus Ruchill wegmusste. Im Video sieht man die Schienen eines Zuges. Eine Weiche folgt auf die andere. Jimmy Somerville im Zug schaut nachdenklich aus dem Fenster. Er fährt vorbei an Hochhaussiedlungen, Busbahnhöfen und Parkhäusern.
Dann folgen Rückblenden. Da ist zum Beispiel die Szene im Schwimmbad. Jimmy schaut einem anderen Jungen nach und wird von seinen Kumpels als schwul geoutet. Später verprügelt ihn ein paar Typen in einer dunklen Gasse.
Eine andere Szene: Der verprügelte Junge wird von der Polizei bei seinen Eltern abgeliefert. Als sie erfahren, dass ihr Sohn schwul ist, bricht die Mutter in Tränen aus. Der Vater droht mit Schlägen. Als Jimmy das Elternhaus endgültig verlässt, umarmt ihn die Mutter. Der Vater weigert sich, ihm zum Abschied die Hand zu reichen. Das Video ist ein echter, kleiner Kurzfilm. Damals war das neu: Denn an keiner Stelle sieht man hier jemanden singen oder eine Band spielen. Da läuft einfach diese Story ab unter der Musik.
Von dem Bronski Beat-Video gab es zwei Versionen: In der Version für den amerikanischen Markt verzichtete man auf die homosexuelle Thematik. Offenbar hielt man die Zeit dort noch nicht für reif für das Thema.
Jimmy Somerville zieht aus der Provinz ihn in die Hauptstadt der Musik, der Party und der Kreativität – nach London. Hier gibt es den "Eagle Club", die verruchte "Cellar Bar", den "Fallen Angel". In der Metropole pulsiert das LGBT-Leben. Hier ist jeder willkommen. Jeder hat seinen Platz, jeder kann lieben, anschauen und flirten, mit wem er will.
Ich kann mir richtig vorstellen, wie Jimmy Somerville in der großen Stadt aufblüht, während nebenan der ebenso junge Boy George im Club "Blitz" an der Garderobe arbeitet. Auch Marc Almond von Soft Cell oder Andy Bell von Erasure sind damals in der Szene unterwegs. Es sind die letzten unbefangenen Jahre der Gay-Szene – von AIDS noch keine Spur, John Lennon räkelte sich noch mit Yoko Ono im Bett und in den britischen Charts auf Platz 1 im Frühling 1980: Blondie.
Der Londoner Schwulenwelt ist eine einzige endlose Party. Jimmy Somerville findet Unterschlupf in einer Dreier-WG in Brixton. Sein Mitbewohner Steve Bronski kommt wie er aus Glasgow. Die beiden haben sofort eine Verbindung. Der dritte im Bunde ist Larry Steinbachek, er kommt aus Essex. Was die drei Jungs eint: Sie lieben Musik. Und: Sie leben alle drei offen schwul.
Dann wird Jimmy Somerville wird für die Produktion eines lesbisch-schwulen Dokumentarfilms angefragt: "Framed Youth". Er erzählt, wie er mit seinen Eltern nie über seine Homosexualität gesprochen hat – und dass er mit seinem Vater noch nie ein echtes Gespräch über irgendetwas bedeutendes geführt hat. Die Musik zu diesem Film kommt von den Eurythmics, von Soft Cell – und in einer Szene singt auch der junge Jimmy Somerville: Der Gesang von Jimmy Somerville fällt seinem Mitbewohner auf. Er schlägt vor: Warum machen wir drei nicht eine Band? Das war die Geburtsstunde von Bronski Beat. Jetzt geht alles sehr schnell. Nach nur neun Live-Gigs haben sie einen Plattendeal in der Tasche – mit dem renommierten Label "London Records". Die drei Jungs haben eine Mission: Das schwule Leben gesellschaftsfähig machen.
Die erste Single-Auskopplung der neu gegründeten Band: Ein Lied über einen schwulen Jungen, der aus der Enge der Vorstand in die Großstadt flieht. Ein Lied, in dem sich damals wohl viele Schwule wiedererkennen und verstanden fühlen. Und ein Song über die Jugend von Jimmy Summerville, dem Smalltown Boy.
Jahr: 1984
Länge: 04:51
Album: The Age of Consent
Label: Metronome
"Smalltown Boy" von Bronski Beat läuft bei 80s80s. Jetzt hier einschalten!
Zu fast jedem großen Hit der 80s gibt es eine Geschichte. Und wenn jemand diese Stories kennt, dann Peter Illmann. Im Podcast erzählt er die spannendsten, unglaublichsten und schönsten Geschichten zu den 80s-Hits, die ihr liebt. Jede Woche gibt´s eine neue Folge - viel Spaß!
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