Captain Sensible "Wot"
Manchmal kann ein äußerst unangenehmer Moment die Inspiration zu einem Song liefern, der der es bis an die Spitze der Charts schafft – so wie bei Captain Sensible und “Wot”.
Manchmal kann ein äußerst unangenehmer Moment die Inspiration zu einem Song liefern, der der es bis an die Spitze der Charts schafft – so wie bei Captain Sensible und “Wot”.
Sommer 1979. Eine Baustelle in New York. Ohrenbetäubender Lärm reißt im Hotel direkt nebenan ein Gast unsanft aus dem Schlaf. Der Name des unfreiwillig Geweckten: Raymond Burns alias Captain Sensible. Der hatte am Abend zuvor im nahegelegenen "Hurrah" einen Auftritt - inklusive wilder Aftershow-Party im Backstage-Bereich. Der Musiker reagiert auf seine sehr spezielle Art. Er greift sich ein Aufnahmegerät, Fenster auf, Mikro raus, Beweismittel sammeln. Dann stürzt er empört runter zum Empfang und beschwert sich lautstark! Was für eine Unverschämtheit! Dieser Lärm! Die diensthabenden Empfangsmitarbeiter des Hotels bleiben angeblich cool, obwohl da ein legendärer Punk und Unruhestifter tobt.
Dass Captain Sensible damals so dünnhäutig reagiert, könnte auch daran gelegen haben, dass er zu diesem Zeitpunkt nicht nur von einer Baustelle, sondern auch von seiner Karriere hochgradig genervt war. Im Oktober 1976 veröffentlichte seine Band The Damned einen Song namens „New Rose“... Das Lied ist nicht irgendein Punk-Song. Es ist die erste britische Punk-Single überhaupt, noch vor den legendären Sex Pistols. Die liefern erst einige wenige Wochen später ihren Klassiker "Anarchy in the U.K." ab.
Die Medien inszenieren eine große Rivalität zwischen den beiden Punk-Pionieren. Einen Wettbewerb, über den sich Captain Sensible noch Jahre später ärgert: "Die Bands haben sich prächtig verstanden, nur die Manager stritten und die Medien inszenierten den Rest". Doch nicht nur das nervte ihn. Denn da war auch noch der Sänger seiner Band The Damned, der charismatische David Vanian, der immer im Mittelpunkt stand. Selbst als Captain Sensible durch den Abgang eines Gründungsmitglieds der Band mehr Raum erhielt und zum Hauptkomponisten der Band wurde... er blieb der unterschätzte und frustrierte Mann in der zweiten Reihe.
1980 wird es noch schlimmer: The Damned verändern ihren Sound Richtung Gothic-Rock. Das fand der Captain schlimm. Aber noch schlimmer war die Tatsache, dass der neue Sound richtig gut ankam. The Damned wurden Vorbild einer neuen Generation von Independent-Musikern der 80er - für Musiker wie Nick Cave und Andrew Eldritch von den Sisters of Mercy.
Captain Sensible hatte keinen Bock mehr – stieg aus und startete seine Solokarriere! 1982 erschien seine Single "Happy Talk". Der Song wurde eine Nummer 1 in England. Viele Jahre später gibt der Capitän zu: "It was a bucket of shit but I made it cash" - Es war ein Haufen Mist, aber ich habe ihn zu Geld gemacht. Nach dem überraschenden Erfolg wollte er schnell nachlegen. Und dafür holte er das alte Band raus, die Aufnahme mit der Presslufthammeraufnahme aus New York. Mit dem Baustellen-Lärm wollte er das Lied einleiten, fast eine halbe Minute lang. Sein Produzent, Tony Mansfield, war entsetzt. Das soll auf die Platte? Aber Captain Sensible machte keine Kompromisse, packte noch einen tickenden Wecker obendrauf – und setzte sich durch.
Während der Produktion herrschte im Studio schlecht Stimmung. Captain Sensible und sein Manager waren gänzlich unterschiedlicher Meinung, sie redeten kaum miteinander. Aus reiner Verzweiflung engagierte Manager Tony Mansfield die Girl-Band Dolly Mixture. Die sollten als Backgroundsängerinnen den Song etwas sanfter machen. Der Plan ging auf. Nicht nur der Song wurde geschmeidiger, sondern auch Captain Sensible. Denn der verguckte sich in das Dolly Mixture-Girl Rachel Bor. Am Ende der Aufnahmesession waren die beiden ein Paar.
Und dann erschien es tatsächlich... das Lied mit dem Presslufthammer. Und damit nicht genug: “Wot" wurde ein Hit, in Großbritannien und in vielen anderen Ländern. Im Video zu “Wot“ begleicht der unerbittliche Captain Sensible dann auch noch eine offene Rechnung. Denn wenige Wochen zuvor hatte die Band Adam and the Ants mit „Prince Charming“ einen Nummer-1-Hit gehabt. Deren Sänger, Adam Ant, trat gerne im Piratenkostüm auf. Sein Outfit erinnerte sehr an das von Captain Sensible – was dem wiederum gar nicht gefielt. Schon im Songtext bekommt Ant sein Fett weg. Da heißt es:
Well, hello Adam, where you been?
I said a'stand aside ′cause I'm feelin′ mean,
I've had a gutful of you and I′m feelin' bad
'Cause you′re an ugly old pirate and ain′t I glad.
(Nun, hallo Adam, wo warst du? Ich sagte, tritt zur Seite, denn ich bin schlecht drauf, ich habe die Nase voll von dir und ich fühle mich mies, denn du bist ein hässlicher alter Pirat und darüber bin ich nicht froh.) Im Clip wirft Captain Sensible ein Adam Ant-Double, dass die Hotellobby betritt, zu Boden. Muss man nicht gut finden. Ist aber andererseits für jemanden wie den Captain nur konsequent.
Der Song hatte übrigens auch einen deutschen Ableger. Vielleicht erinnert ihr Euch noch an den Dicken Willem, bürgerlich Wilken F. Dincklage. Der Radiomoderator, Musiker und Komödiant ging mit seiner humorigen, deutschen Fassung von "Wat?" tatsächlich in die deutschen Charts.
Captain Sensible war und ist bis heute eine streitbare Figur, keine Frage Und man muss ihn nicht mögen. Aber andererseits: Wäre es nicht langweilig, wenn nicht ab und zu mal ein Störenfried kommt und alles aufmischt? Captain Sensible selbst scheint sich in seiner Rolle zu gefallen. Unlängst sagte er noch in einem Interview: „Wenn ich morgen sterben müsste, ich hätte jedenfalls jede Minute genossen“ ...
Jahr: 1982
Länge: 5:52
Label: A&M
Album: Women and Captains First
Zu fast jedem großen Hit der 80s gibt es eine Geschichte. Und wenn jemand diese Stories kennt, dann Peter Illmann. Im Podcast erzählt er die spannendsten, unglaublichsten und schönsten Geschichten zu den 80s-Hits, die ihr liebt. Jede Woche gibt´s eine neue Folge - viel Spaß!
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