Bitte kein Straightwashing!

Die Geschichte von "Smalltown Boy" ist seit 40 Jahren Popkultur: Die erste Singleauskopplung von Bronski Beat war ein Lied über einen schwulen Jungen, der aus der Enge der Vorstand in die Großstadt flieht. Ein Lied, in dem sich damals wohl viele Schwule wiedererkennen und verstanden fühlen. Und ein Song über die Jugend von Jimmy Somerville, dem Smalltown Boy. Das Video (zumindest die Version für Europa, die Amis waren damals noch nicht so weit) erzählt die Geschichte noch konkreter… die Geschichte von Bronski Beat-Sänger Jimmy Somervilles Abschied aus der Kleinstadt. Im Video sieht man die Schienen eines Zuges. Eine Weiche folgt auf die andere. Jimmy Somerville im Zug schaut nachdenklich aus dem Fenster. Er fährt vorbei an Hochhaussiedlungen, Busbahnhöfen und Parkhäusern. Dann folgen Rückblenden. Da ist zum Beispiel die Szene im Schwimmbad. Jimmy Somerville schaut einem anderen Jungen nach und wird von dessen Kumpels als schwul geoutet. Später verprügelt ihn ein paar Typen in einer dunklen Gasse. Es ist unstrittig: "Smalltown Boy" ist die große schwule Befreiungshymne der 80er!

Nun ist "Smalltown Boy" zurück. Gleich mehrfach. Da ist auf der einen Seite ein Dance-Remix mit voller Unterstützung von Jimmy Somerville: "Ich fühlte mich zurückversetzt zu unseren ersten Malen beim Schreiben." Hier gibt es alle Infos zum Remix.

Aber auch die originale Version von "Smalltown Boy" ist wieder total angesagt. Das liegt (wie damals bei  "Running Up That Hill" von Kate Bush) an Netflix. Gleich mehrere Netflix-Serien spielen den Bronski Beat-Hit. Am wirkungsvollsten war dabei sicherlich "Rentierbaby" von und mit Richard Gadd. Die Geschichte über Missbrauch und Stalking war ein absoluter Überraschungshit auf der Streamingplattform. Die Serie hat bis heute weltweit über 90 Millionen Zuschauer begeistert. Kein Wunder also, dass auch Musik der Serie populär ist, darunter "Smalltown Boy". Viele weitere Serien haben den Bronski Beat-Song im musikalischen Gepäck: "Love Lies Bleeding", "Euphoria", "It's a Sin", "Élite", "White Gold" und "Narcos: Mexico". Man kann sagen: "Smalltown Boy" ist zum 40. Geburtstag mit voller Kraft zurück. Und das ist auch gut so.

Manche argumentieren, dass dieser TikTok-Trend – der oft Eltern mittleren Alters in der Küche oder im Wohnzimmer der Familie zeigt – wie Straightwashing wirkt. Straightwashing (auch Hetwashing genannt) bezeichnet die Darstellung von queeren Charakteren als heterosexuell, überhaupt eine Vereinnahmung durch den Mainstream. Selbst Jimmy Summerville klingt gegenüber der BBC ein bisschen kritisch: "Hier auf TikTok gibt es all diese Leute, die den Moment feiern und ein bisschen Spaß haben. Aber wir waren drei junge schwule Männer: offen und stolz - und wir hatten eine Botschaft. Diese Botschaft hallt auch 40 Jahre später immer noch nach. Weil wir scheinbar Rückschritte machen. An so vielen Orten werden Rechte beschnitten, und es gibt eine regelrechte Welle von Homophobie, Aggression und Diskriminierung gegenüber jedem, der im Grunde er selbst sein will."

Anders gesagt: der Hype um "Smalltown Boy" ist toll. Aber die ursprüngliche Aussage von Bronski Beat (link: /musik/songinfos/bronski-beat-hit-perfect-beat  bleibt wichtig. Hoffen wir, dass die jüngeren Generationen das nicht vergessen.