Die Geschichte des Albums ist unendlich oft erzählt worden. Vier Iren gehen über den Atlantik um die USA musikalisch zu erforschen. Daher ist das Album - als deutlicher Bruch mit den vorherigen Platten der Band - im Blues, Gospel und Folk verwurzelt. Bis "Zooropa" war das die radikalste Neuerfindung von U2. Es war auch die erfolgreichste Neuausrichtung, denn das Album "The Joshua Tree" ist ihre erfolgreichste Platte von U2 - bis heute. The Edge beschreibt das in der 1999er U2-Dokumentation so: "Die Musik entspringt keiner Achtziger-Mentalität. Es kommt von ganz woanders her. Als wir dieses Album gemacht haben, hatten wir nicht das Gefühl, Teil dessen zu sein, was zu dieser Zeit im Musikgeschäft vor sich ging. Wir hatten uns vom Zeitgeist entkoppelt." Das ist seit jeher ein Weg, zeitlose Musik zu machen. Was das Album sonst noch außergewöhnlich macht, haben wir hier zusammengetragen
1) Vor "The Joshua Tree" hatten U2 ihre musikalische Richtung verloren. Sie waren in den frühen 80ern mit dem New Wave mitgeschwommen, nun fehlte der Band eine musikalische Tradition. Erste Konzepte für ein neues Album basierten auf Experimenten mit dem bisherigen Sound der Band. Bono Vox (Paul Hewson), Adam Clayton, The Edge (David Howell Evans) und Larry Mullen Jr. mussten sich eingestehen, dass sie allenfalls die Musik ihrer Jugend als Referenzpunkte hatten, ihn fehlte historisches Musikwissen. Es waren Bob Dylan, Van Morrison, und Keith Richards, die ihren Freund Bono Vox aufforderten mit Blues, Folk und Gospel zu experimentieren. Daher gingen U2 nach Amerika und konfrontierten ihre Musik mit dem Blues.
2) Anton Corbijn fotografierte die Coverbilder nicht im Joshua-Tree-Nationalpark sondern am Zabriskie Point im Death Valley. Kein Wunder, denn Zabriskie Point hat seit dem gleichnamigen Film von Michelangelo Antonioni aus dem Jahre 1969 einen absoluten Kultcharakter. Dass der Baum vom U2-Plattencover mittlerweile nicht mehr steht, hat sich unter Fans hingegen rumgesprochen.
3) Fans verbinden das Album oft mit den Bemühungen der Band U2 in den USA durchzustarten. Allerdings gab es schon 1985 die EP "Wide Awake in America". Diese Platte wurde in Europa nur als Import ein Erfolg, weil sie tatsächlich für den amerikanischen Markt konzipiert war. "The Joshua Tree" ist auch kein Album über die USA. "Mothers Of The Disappeared" handelt zum Beispiel von den Müttern der verschleppten Regimegegner in Argentinien.
4) Legendär ist das Video zu "Where The Streets Have No Name". Es ist an das Rooftop Concert der Beatles angelehnt. U2 stellten sich tatsächlich in Los Angeles aufs Dach und legen los, Tausende standen unten. Es kam zu einem Verkehrskollaps und die Polizei drehte U2 irgendwann den Strom ab. Auch dieser Song handelt übrigens nicht von den USA. Der Hit handelt von der U2-Heimat Irland. In Irland und Nordirland waren (und sind teils bis heute) viele Städte in sehr gegensätzliche Bereiche getrennt: Reich und Arm, katholisch und evangelisch und so weiter. Wenn man weiß, in welcher Straße ein Mensch lebt kann man seinen Lebensstandard und seinen Glauben ablesen. Daher die Sehnsucht nach einem (symbolischen) Ort, wo die Straßen keine Namen mehr haben.
5) The Edge hält seinen Gitarrenlauf auf "With Or Without You" für seine ultimative Lebensleistung. Nicht "Sunday Bloody Sunday" oder "One" sind seine Favoriten, sondern dieser Song mit einer eher unterschwelligen Gitarre. Im Netz gibt es zahllose Tutorials, wie man mit einer modifizierten Fender Stratocaster den Sound von The Edge erreicht. Um es perfekt klingen zu lassen braucht man noch Korg SDD-3000 Delay Pedal für den Verzögerungseffekt und den legendären (ab 1959 entwickelten) Verstärker VOX AC30 (natürlich nicht die volltransistorisierte Version, sondern mit ursprünglichen Röhrenschaltungen).
6) Kirsty MacColl hatte einen großen Einfluss auf die Platte. Als U2 die Songs weitestgehend fertig hatten, fanden sie keinen roten Faden für das Album. Kirsty MacColl hörte sich die Songs an und legte für Bono Vox die Reihenfolge fest. Kirsty MacColl und ihr Ehemann Steve Lillywhite waren enge Freunde der Band. Auf der U2-Webseite schreibt die Band: "Kirsty MacColl hat tatsächlich 'The Joshua Tree' sequenziert." Bono Vox schreibt dazu: "Als wir mit der Arbeit an dem Album fertig waren, war Kirsty MacColl mit Steve Lillywhite im Studio, wo wir die Platte mit Brian Eno und Daniel Lanois produzierte. Sie war diejenige, die sagte: 'Das sollte Track 1 sein, das sollte Track 2 sein …'. Das ist meine persönliche Erinnerungen an sie." Die Sängerin Kirsty MacColl starb später bei einem tragischen Tauchunfall, der bisher nicht vollständig aufgeklärt wurde.
7) Die spätere Hitsingle "The Sweetest Thing" war ursprünglich auch für das Album "The Joshua Tree" gedacht. U2 bedauern bis heute, dass dieser Song nicht auf dem Album landete. Komischerweise landete "The Sweetest Thing" 1987 auf der Rückseite der Single "Where the Streets Have No Name". Um dann ein Jahr später mit dem Produzenten Steve Lillywhite als neue Aufnahme dennoch eine eigene Single zu werden. Das Musikvideo von Regisseur Kevin Godley ist sicherlich eine der sehenswertesten Produktionen der Band, zumal es sehr persönlich wirkt und neben Bono Vox auch seine Frau Ali Hewson mitspielt.
8) Brian Eno hat wegen "Where the Streets Have No Name" fast die Nerven verloren: "Es gab schon eine Version von dem Song auf Band. Aber diese Version war unhaltbar. Wir verbrachten Stunden, Tage und Wochen damit – wahrscheinlich wurde die Hälfte der Zeit, die das gesamte Album in Anspruch nahm, für diesen Song aufgewendet –, um zu versuchen, um eine brauchbare Fassung aufzunehmen. Es war ein Albtraum. Zeitweilig wollt ich alle Bänder löschen, und es wie einen Unfall aussehen lassen." Zum Glück fanden U2 und der Produzent aber am Ende zu einer finalen Fassung.